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Die Beziehung zu meiner Mutter ist sehr innig und voller Vertrauen. Ich kann ihr alles aus
meinem Leben erzählen, ohne Ängste zu haben. Ich erzähle ihr auch Dinge, von denen Ich weiß,
dass wir sie unterschiedlich betrachten. Trotzdem werde ich für meine Handlungen nicht
verurteilt oder unter Druck gesetzt.
Sie war immer mehr als eine Mama für mich, meistens und vor allem in meinen Jugendjahren auch
eher eine Freundin. Ich wusste, dass ich mich egal was kommt, auf sie verlassen kann. Sie hat
mich in allen Lebensbereichen unterstützt und gestärkt. Sie hat immer an mich geglaubt.
Trotzdem ist das Verhältnis von Mutter Tochter ein anderes bei uns. Durch meinen
beeinträchtigten Bruder ist das Verhältnis oft dadurch geprägt, auch durch ihre gesundheitlichen
Einschränkungen. Ich helfe mehr als vermutlich andere Töchtern meiner Mutter, gerade auch im
Alter. Sie kann vieles nicht mehr leisten. Für mich ist das in Ordnung und kein Makel. Denn so
wie sie für mich da war, möchte ich auch für sie da sein. Ich habe trotzdem das Gefühl, dass ich
mein Leben so leben kann und frei bin in meinen Entscheidungen. Sie hat mir immer viel
Sicherheit gegeben. Die möchte ich ihr im Alter gerne zurückgeben, so gut ich das kann.
Das Verhältnis zu meinem Bruder ist sehr stabil. Je nachdem wie stark sein Autismus ist, kann es auch schwierig sein. Er ist mein einziger Bruder, der zwar nicht mein leiblicher Bruder ist, wie haben fast gleich alt sind. Wir haben die Kindergartenzeit und auch die Schulzeit beide in der gleichen Altersstufe absolviert. Durch seine Behinderung und seinen Autismus waren ihm vor 20 Jahren viele Türen verschlossen geblieben. Das prägt ihn bis heute und damit auch unser Verhältnis, denn ich bin die Schwester, die alles geschafft hat, was ihm nicht gelingen konnte. Er ist trotz alledem mein Bruder, meine zweite Säule im Leben. Er und ich haben ein so inniges geschwisterliches Verhältnis, dass kann man nicht anders sagen. Ich liebe ihn und bin immer für ihn da. Für mich steht auch fest, dass wenn meine Mama mal nicht mehr da sein sollte, ich mich um meinen Bruder kümmern werden.
Mein Vater und ich haben kein besonders gutes Verhältnis. Es ist erschreckend, wie wenig er sich
für mich und mein Leben interessiert. Er war nie bei meinen Abschlüssen von der Schule, hat mich
weder seelisch noch finanziell in meinem Erwachsenwerden und meinem Werdegang unterstützt. Er
hat viel gelogen, in der Vergangenheit und in der Gegenwart. Ich habe das Gefühl, dass wir
Kinder ihm eher eine Last waren. Vor allem, weil wir, wenn wir nicht funktionieren in eine
Schublade gesteckt werden.
Ich konnte die Beziehung zu meiner Vater lange Zeit nie rational betrachten, da er meine Mutter
betrogen hat und uns als Familie in den finanziellen Ruin gebracht hat. Ich habe irgendwann in
einer Therapie gelernt, dass ich diesen Menschen nicht mehr ändern kann. Dass ich aber lernen
muss, wenig bis keine Erwartungen an ihn zu haben.
Als ich mich vor 6 Jahren geoutet habe, kam eine komische Reaktion, die bis heute nachwirkt.
Ich habe meinen Vater seit mehr als zwei Jahren nicht mehr gesehen. Als ich Krebs hatte, war er
am arbeiten in Chile. Er war weder im Krankenhaus noch hat er sich anschließend groß bei mir
blicken lassen. Ich denke, dass genau da auch meine eigene Abneigung gegen diesen Menschen
herkommt, unabhängig von meiner Mama und seiner Geschichte. Hinzu kommt, dass er meinen Bruder
noch schlimmer behandelt als mich. Das verletzt mich jeden Tag.